Narrenbaumgeschichte

Die Geschichte unseres Narrenbaums


Teil 1
Schon als ganz kleines Bäumchen im Babyalter träumte ich davon einmal etwas ganz Besonderes zu werden.
Mit den Jahren wuchs ich zu einer stattlichen Fichte heran. Während dieser Zeit fiel es mir auf, dass es jedes Jahr Ende November im Wald laut wurde. Viele Männer kamen und suchten sich den schönsten meiner Nachbarn aus.
„Das wird unser Narrenbaum!“ hieß es dann. Sie hatten ihre Freude daran und riefen „Schloßgoischd´!“. Ich dachte mir, so ein Narrenbaum muss schon etwas sehr Schönes sein, wenn sich die Menschen so freuen. Da beschloss ich, auch Narrenbaum zu werden. Doch ich musste mich gedulden bis ich ca. 45 Jahre alt war.
Am letzten Samstag im November war es dann soweit. Es wurde wieder lebhaft im Wald. Ein Unimog samt Hänger und noch ein paar Autos hielten in meiner Nähe. Die Männer die ausstiegen sahen aus als hätten sie Großes vor. Bewaffnet mit Motorsäge, Beil, Axt und sonstigem Handwerkszeug stapften sie auf mich zu.
Ich dachte :“ Jetzt ist es soweit, jetzt werde ich Narrenbaum!“ Doch was war das ??? Kurz bevor sie bei mir angekommen waren, drehte sich einer, ich glaube er hieß Ewald, um und zeigte auf meinen Nachbarn. (Der war aber lange nicht so schön und so groß wie ich!)
Dieser Ewald, oder hieß er Roter Löwe? Jedenfalls dieser Mann sagte :“ Der ist doch schön, den nehmen wir!“
„Ooch Mann, du Ewald, schau doch mal, ich bin doch viel schöner und warte schon sooo lange darauf „Narrenbaum“ zu werden“, rief ich ihm zu. Aber er ließ sich nicht beirren. Die Motorsäge wurde ausgepackt und mein Nachbar flachgelegt. Da war ich schon sehr traurig, denn ich hatte so fest damit gerechnet, dass diesmal ich dran bin.
Aber zu meinem Glück fiel mein Nachbar so unglücklich, dass seine Krone abbrach. Und ohne Krone kann man nicht „Narrenbaum“ werden. Der Rote Löwe sagte :“ Das geht nicht, da müssen wir einen anderen nehmen.“ Das war mein Stichwort! Ich stellte mich in Position, reckte meine Zweiglein und war in meinen Augen der schönste Baum weit und breit. Und siehe da. Ewald und noch ein anderer Mann der wohl „Sibby“ hieß, zeigten auf mich und waren sich einig :“ Den hier nehmen wir, der ist ja noch viel schöner als der andere!“ (Hab ich doch gleich gesagt!)
Als „Sibby“ die Motorsäge ansetzte, hatte ich schon ein bisschen Herzklopfen. Ich wusste ja nicht, ob es weh tut. Aber es war gar nicht so schlimm und wer Narrenbaum werden will, muss auch etwas aushalten können. Ich fiel kerzengerade auf den weichen Waldboden. Und meine Krone brach nicht ab! Als die Jungs mich auf den Weg hinausziehen wollten, bekamen sie Probleme. Ein Baumstumpf war im Weg. In diesem verfing sich das Seil. Ein bärtiger Mann mit einer grünen Wichtelmütze, ich glaube die anderen nannten ihn Willi, wollte den Baumstumpf kurzerhand entfernen. Aber so einfach wie er dachte war das nicht! Willi zog und zog. Plötzlich und unvorbereitet gab der Baumstumpf seinen Widerstand auf. Sportlich wie der Willi war, machte er eine elegante Rolle rückwärts mit der er jeden Bodenturner in den Schatten gestellt hätte.
Endlich lag ich dann der Länge nach auf dem Weg. Die Männer bewaffneten sich mit überdimensionalen Kartoffelschälern. Ich fragte mich, was sie damit wohl vorhatten. Sie setzten sie am Stamm an und schälten meine Rinde ab. Hui, das hat vielleicht gekitzelt! Ich schüttelte mich vor Lachen. Später hörte ich dann, dass die Kartoffelschäler richtig „Räppeleisen“ heißen.
So gegen 12.30 Uhr fuhren plötzlich noch zwei Autos in den Wald. Meine Männer freuten sich : „ Jetzt kommen unsere Frauen mit dem Vesper und dem Glühwein!“ Und das war tatsächlich so!
Aus den zwei Autos purzelten einige Frauen. Sie brachten belegte Brötchen und einen großen Kessel Glühwein. Meine Männer machten sich gierig darüber her. Die Frauen gingen erst wieder als der letzte Krümel verdrückt und der Glühwein leer war (bei letzerem haben sie aber mitgeholfen, das hab´ ich genau gesehen!)
Nach der Stärkung ging´s dann wieder an die Arbeit. Ich musste irgendwie verladen und transportiert werden, da ich ja nicht laufen kann. Dazu brauchte man den Unimog. Darauf legten sie mein Unterteil. Mein Kopf dagegen durfte auf einem sogenannten Nachläufer ruhen (weiß auch nicht warum der so heißt). Dann wurde mir ein Pferdesattel aufgelegt. Ich dachte :“ Was wird denn das jetzt ?“ Einer der Männer den sie „Ottmar“ nannten stieg auf. „Hallo, bin ich denn etwa ein Pferd?“ ging es mir durch die Krone. Aber es stellte sich heraus, dass die Jungs was dachten bei ihrer Arbeit. Denn dieser Ottmar war sehr wichtig. Er musste nämlich die Deichsel zwischen die Beine nehmen und dafür sorgen, dass ich unbeschadet die scharfen Kuven des Messelberges nach Donzdorf hinunter kam. Es war richtig aufregend und spannend! Die anderen Autofahrer guckten ganz schön komisch als ich da ankam.
Wir fuhren sogar an meinem späteren Narrenbaumplatz vorbei. Allerdings hatte sich dort noch ein Weihnachtsbaum ausgebreitet. Aber o.k. ich hatte ja noch Zeit und der Kleine sollte auch seine Freude haben. Als zukünftiger Narrenbaum ist man ja großzügig.
Um 15.20 Uhr trafen wir wohlbehalten bei Ewald (das ist der Ehrenzunftmeister der Donzdorfer Schloßgoischd´r) ein. Vorsichtig bugsierten sie mich in den Hof hinein.
Jetzt brauchten meine Männer erst einmal eine Pause, denn sie waren natürlich hungrig und durstig. Wie es sich gehört, hatten die Frauen einen großen Kessel mit Eintopf gekocht und den Tisch gedeckt. Die Männer langten kräftig zu. Endlich war es einmal wieder ruhig….
Danach war ich nochmals an der Reihe, denn ich konnte ja nicht auf dem Unimog und dem Nachläufer bleiben. Also haben mich meine Jungs hochgehoben und an ein schönes Plätzchen gelegt. Dort durfte ich mich jetzt ausruhen bis zum 6. Januar.


Teil 2
Nach der Strapaze hatte ich Ruhe aber auch dringend nötig! Ich habe die gaaaanze Weihnachtszeit verschlafen. Aber am 6. Januar morgens um 10.00 Uhr wurde es plötzlich lebendig bei Ewald. Ich wurde von den Jungs und Mädels geweckt die mich jetzt zum Narrenbaum schmücken wollten. Natürlich war ich sofort hellwach, dann da freute ich mich ja schon drauf.
Zuerst stärkte sich die Bande mit Kaffee. Danach verschwanden die Mädels im Keller. Ich dachte bei mir:“ Na sooo häßlich sind sie ja nicht, dass sie sich im Keller verstecken müssten!“ Aber dann hörte ich, dass sie dort Päckchen für den Kranz den ich bekommen sollte, packen müssten. Diesen Kranz dürfen dann die Kinder plündern nachdem ich aufgestellt war. Au fein, viele Kinder! Das ist schön, ich mag nämlich Kinder! Von Bändern schneiden war auch noch die Rede. Bestimmt werde ich auch noch schön geschmückt.
Meine Jungs machten sich an mir zu schaffen. Mit dem Räppeleisen schälten sie die restliche Rinde ab. Das war vielleicht eine kitzelige Geschichte…..
Dann bewaffnete sich ein Mann mit einem Brenneisen. Der wollte mich Tätowieren! “He – das tut doch weh, ein bisschen vorsichtig bitte!“ Aber dann sagte ich mir, die Menschen lassen sich ja auch tätowieren, also kann es so schlimm nicht sein. So war es dann auch. Der Mann brannte die Initialien aller Männer und Frauen die dabei waren als man mich aus dem Wald holte, in meinen Stamm ein. Wenn man genau hinschaut sieht man es!
Ich schaute zu wie aus einem nackten Drahtgestell mit Tannenzweigen ein wunderschöner Kranz gebunden wurde. Mein Narrenkranz! Als dieser fertig war fiel der Startschuss für die Mädels im Keller. Sie durften nun die eingepackten Geschenke alle am Narrenkranz befestigen. Als sie fertig waren wurde dieser ganz vorsichtig auf den Boden abgelassen (er hing ja an einem Haken). Dann wurde er, damit ihm nichts passiert, bis Sonntag mit Folie abgedeckt.
Ein paar von den Mädels banden dann noch Bänder in den Donzdorfer Stadtfarben rot und gelb in meine Krone und um meinen Stamm. Dann kehrte langsam wieder Ruhe ein. Ich war auch ganz schön müde nach dem langen Tag. Andererseits war ich natürlich auch schon aufgeregt und voller Vorfreude auf Sonntag.
Dann war endlich der große Tag da! Ich wurde auf den Unimog verladen den ich ja schon kannte. Mein Kopf lag wieder auf dem sogenannten „Nachläufer“. Ganz vorsichtig transportierte man mich nun in Richtung Narrenbaumplatz. Dort luden die Jungs mich ab und legten mich auf sogenannte „Schwalben“. Ich werde nämlich nicht wie manche anderen „Narrenbäumchen“ mit einem Kran aufgestellt. Nein, meine Jungs das sind richtige Kerle, die machen das mit reiner Muskelkraft.
Um 13.00 Uhr gaben die Schützen mit Böllern den Starschuss für das Narrenbaumstellen. Für meine Jungs hieß das : Ärmel hochkrempeln und an die Schwalben! Mit lauten „Schloß-goischd´“- Rufen unterstützen die Zuschauer meine Männer. Das war vielleicht laut! Ich versuchte mich ganz leicht zu machen, aber es war wohl doch nicht so einfach mich aufzustellen. Zwischendurch brauchten die Männer immer mal eine Pause. Dann spielte die Guggenmusik fetzige Rhythmen damit den Zuschauern nicht kalt wurde. Meine Jungs schafften es doch tatsächlich in 45 Minuten mich senkrecht hinzustellen! Die Männer der „Donzdorfer Schloßgoischd´r“ sind halt richtige Teufelskerle! Kurz bevor ich in der „Senkrechten“ war freute sich auch Petrus. Er schob die Wolken etwas zur Seite und ließ die Sonne hervor blitzen.
Als ich fest verankert war ließ der „Rote Löwe“ die Kinder zu mir kommen. Jetzt endlich durften sie den Kranz plündern. War das ein Gewusel und Gedränge um mich herum. Ich hatte richtig Angst, dass da noch was passiert. Aber es ging alles gut und ich hoffte, dass jedes Kind etwas abbekommen hat.
Als der Kranz dann ratz-fatz abgeräumt war, konnte ich wieder richtig durchatmen. Es wurde auch etwas ruhiger um mich herum.
Bis zum Aschermittwoch ist es aber noch eine längere Zeit. Damit ich nicht so alleine bin hat man mir zwei Schloßgoischd´r und einen Roten Löwen zur Gesellschaft gegeben. Da wird es mir bestimmt nicht langweilig. Außerdem kommen sicher auch viele Leute, die mich bewundern möchten. – Ich bin sooo stolz darauf hier in Donzdorf als Narrenbaum zu stehen!

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Teil 3
Am Fasnetsdienstag, kurz vor 24.00 Uhr in der Nacht versammelten sich meine Schloßgoischd´r um mich. Sie hatten riesige Taschentücher dabei und waren ganz traurig. Jeder streichelte meinen Stamm und sagte :“ Ach du mein lieber Narrenbaum!“ Ewald, der Rote Löwe nahm eine Flasche Sekt und schüttelte sie. Dann begoss er mich damit. Ich dachte : „ Nanu – was soll denn das ? Eine Sektdusche ?“ Aber das hat richtig schön geprickelt auf meinem Stamm. Als die Kirchenuhr Mitternacht schlug fingen die Goischd´r und der Löwe an ganz jämmerlich zu heulen. Ich dachte: „ Ja was ist denn jetzt los ? Warum sind die denn so traurig ?“ Dann begriff ich : das war wegen mir! Es war Aschermittwoch! Und am Aschermittwoch hat mein letztes Stündlein am Narrenbaumplatz geschlagen. Als die Flaschen leer waren und die Goischd´r fertig geheult hatten kehrte wieder Ruhe ein. Ich machte noch für eine Weile die Augen zu und träumte von den vergangenen schönen Tagen….
Morgens um 11.30 Uhr rückten dann die Männer wieder an. Bewaffnet mit Motorsäge und Werkzeug. Ich dachte :“ Jetzt geht´s dir an den Kragen!“ Zuerst wurden die Schrauben an der Verankerung gelöst. Plötzlich kam ein großer Radlader auf mich zu. Ich hatte schon Angst, der fährt mich um. Aber er war sehr vorsichtig. Vielleicht auch weil Ottmar in seiner Schaufel saß und sich hochfahren ließ damit er den Kranz abmontieren konnte. Er wurde auch vorsichtig wieder abgesetzt und so konnte er unversehrt herausklettern. Nun ging die Schaufel ein Zweitesmal hoch. Diesmal aber ohne Ottmar. Die Jungs kippten mich in Richtung Radlader und langsam, Stück für Stück wurde ich in die horizontale Lage gebracht. Das war schon komisch nun stand ich so lange Zeit kerzengerade und stolz an meinem Platz und in ein paar Minuten lag ich schon da und schaute mir die Welt von unten an. Das ging viel schneller als das Aufstellen. Auch waren nicht so viele Zuschauer da. Schade eigentlich. Naja, in den letzten Wochen kamen ja so viele Leute um mich zu bewundern. Man muss auch mal zufrieden sein!
Als ich so da lag wurden die Zunfttafeln und die Fahne entfernt. Ich fühlte mich wieder so richtig frei. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass diese Dinge alle so schwer waren! Dann kam Motorsägen-Sibby! Er hatte mich ja schon aus dem Wald geholt. Und jetzt setzte er eine Säge an und zerschnitt mich in mehrere Teile. Aber er machte das ganz liebevoll, so dass es gar nicht wehtat. Dann wurde ich in Ewalds Bus verladen und zu ihm nach Hause gefahren. Jetzt durfte ich mich ausruhen bis zu meinem letzten Gang im Juli, wo sich die Goischd´r mit einem großen Fest von mir verabschieden wollten.
Am Morgen des besagten Samstags kam plötzlich Leben in Ewalds Garten. Ich war schon in der Feuerstelle aufgeschichtet und konnte die Vorbereitungen für mein Abschiedsfest sehr gut beobachten.
Ewald und ein paar starke Jungs schleppten ein Schweinchen von ca. 90 kg heran, um es an den Grill zu hängen. Nun wurde der Sau tüchtig eingeheizt. Mindestens 8 Stunden sollte es dauern bis sie fertig war.
Nachmittags wurde es dann richtig geschäftig im Garten. Tische, Bänke, Bierzapfanlage wurden hergerichtet. Es war schon sehr viel Arbeit, denn es sollte ja alles fertig sein wenn die Gäste kamen. Und die kamen aus nah und fern, denn das „Narrenbaumessen „ bei Ewald, dem Roten Löwen ist beliebt.
Zuerst gab es Kaffee und Kuchen. Als das Spanferkel dann gegen 20.00 Uhr fertig war, wurde auch noch ein Salatbüffet aufgebaut. Uiii das sah aber alles lecker aus. Wenn ich nicht ein Baum wäre, dann würde mir glatt das Wasser im Mund zusammenlaufen.
Aber bevor das Büffet gestürmt werden durfte, wurde es plötzlich ganz laut im Garten. Die „Nodabiagr“ , die ja schon bei meinem Aufstellen im Januar gespielt hatten, kamen mit Pauken und Trompeten und heizten die Stimmung so richtig auf.
Danach gab es kein Halten mehr, denn ich hörte die Mägen knurren. Als alle wohl gesättigt waren, gab es am Swimming-Pool einen kleinen Sketch, den ein paar „Goischd´r“-Frauen aufführten. Die Ehrengäste, die in der vorderen Reihe saßen, wurden am Schluss ganz schön nass. Sie sahen aus wie begossene Pudel. Das fand ich sehr lustig und ich lachte in mich hinein.
Immer wieder gesellten sich auch ein paar Gäste zu mir und machten es sich auf der Hollywood-Schaukel bequem. Später, als es dunkel wurde, kam mein letzter großer Auftritt. Ich wurde angezündet! Aber es war gar nicht so schlimm, mir wurde schön warm, denn die Nacht war kühl. So grummelte ich vor mich hin, ließ hie und da ein paar Funken in die dunkle Nacht sprühen und freute mich, dass die Menschen sich an mir wärmten. Gegen Morgen erlosch dann mein letzter Funke als Narrenbaum.
Ein bisschen traurig bin ich schon, dass nun alles vorbei ist. Aber es hat sich gelohnt! Narrenbaum zu sein ist eine ganz, ganz tolle Sache! Und wenn ihr jetzt einen Spaziergang im Wald macht, achtet darauf, dass ihr kein kleines Tännchen zertretet. Denn wer weiß ? Vielleicht soll ja gerade dieses ein neuer Narrenbaum werden!